Weihnachten 2022

Bild: Pfarrer Fuchs

Weihnachten im Seniorenheim: Die Bewohner sitzen zur Weihnachtsfeier im festlich geschmückten Speiseraum. Die Betrachtung eines Krippenbildes soll am Anfang stehen. Ein Bild der heiligen Familie im Stall von Bethlehem erscheint auf der Leinwand – und ein großer schwarzer Fleck darin: Die Silhouette eines Frauenkopfes. Das stört das schöne Bild ganz gewaltig. Und dann geht das Gezische los: „Frau Schäfer, Sie sitzen im Bild.“ Frau Schäfer ist peinlich berührt, erschrocken und rückt hastig ihren Stuhl zur Seite, bis ihr Schatten aus dem Bild verschwunden ist. Jetzt stimmt alles. Ein schönes, ungetrübtes Krippenbild ist zu sehen. Alle sind zufrieden und die Bildbetrachtung kann beginnen.

Natürlich ist das unser aller Wunsch: ungetrübt und ungestört dieses Fest zu feiern: Tannenduft, Weihnachtslieder, Krippe, Kerzen, Bescherung, leckeres Essen… Das alles möglichst im Kreis der Familie oder lieber Menschen, friedlich! Das ist auch schön und soll so bleiben, das ist ganz selbstverständlich. Wenigstens gelegentlich wollen wir klare und eindeutige Bilder sehen, die uns Orientierung geben und ungetrübte Freude schenken. Erst recht an Weihnachten.

Aber auch das wissen wir: Immer wieder schiebt sich irgendein Schatten ins Bild. Ungetrübte Bilder sind selten. Aber so paradox das klingt: das ist auch gut so. Sonst bliebe Weihnachten tatsächlich eine Welt, wie sie uns in Filmen und vor allem in Werbung und Kommerz vorgetäuscht wird. Eine Märchen-Weihnachts-Wunderwelt. Die gibt es nicht und hat es nie gegeben. Diese Weihnachtswelt ist etwas, das nichts mit unserer Wirklichkeit zu tun hat.

Das kann, wenn wir Weihnachten von seinem eigentlichen Sinn her verstehen und ernst nehmen, nicht in unserem Sinne sein und schon gar nicht im Sinne Gottes. Vieles schiebt seinen Schatten in unser weihnachtliches Bild: der Krieg in der Ukraine, die Pandemie, der Hunger in Afrika, die Sorge um unsere Energieversorgung, das unverfrorene Lügen mächtiger Menschen, Terror und Gewalt. Auch persönliche Schatten schieben sich in unser Weihnachtsbild: Krisen, gescheiterte Lebensentwürfe, Krankheit, persönliche Schicksale. Gott sei Dank auch Positives: Glück, Zufriedenheit, Dankbarkeit, Sehnsucht nach Leben, die Gesundheit derer, die wir lieben, wie auch die eigene. Situationen wie die genannten schieben sich ins Bild von Bethlehem, das von der Geburt Jesu, der Menschwerdung Gottes erzählt. Gott will mit uns zu tun haben, er will sich berühren lassen von dem, was uns Menschen berührt, leidend, wie glücklich machend. Nichts, aber auch gar nichts ist ihm fremd, was das menschliche Leben ausmacht und oft auch auszuhalten hat.

Wir feiern den Geburtstag des Immanuel, des „Gott mit uns“. Heute schiebt er sich in die Bilder unseres Lebens. Er ist mit uns, nicht indem er jedes Leid beseitigt, der Not ein Ende setzt, Sinnlosigkeit und Dunkel auflöst. Er ist bei uns indem er an unserer Seite bleibt und aushält „in guten und in schlechten Zeiten“. Wir finden ihn als Anwalt der Gerechtigkeit an der Seite der Armen, als Kläger vor denen, die ihre Macht gnadenlos missbrauchen und Gewalt anwenden. Er leidet mit den Leidenden und freut sich mit dem, der sich freut und feiern kann. Wir finden ihn gekreuzigt an der Seite von Sterbenden, aber genauso in unserer großen Hoffnung, dass nicht der Tod, sondern das Leben einmal das letzte Wort haben wird.

Gott, du schiebst dich in das Bild unserer Welt. In der Geburt Jesu, der Menschwerdung Gottes berühren sich Himmel und Erde. Für ganz viele Menschen nach wie vor eine tröstende Zusage: Gott ist mitten im Bild unseres Lebens – in guten und bösen Tagen.

Wem diese Zusage gut tut, wer nach wie vor darauf hofft und baut, der kann auch an Weihnachten 2022 aus ganzem Herzen singen: „Welt ging verloren, Christ ist geboren. Freue dich, o Christenheit!“

Ihr Pfarrer Fuchs